Fußball als Lebenskunst

Samurai

Alles was ich im Leben wirklich brauche habe ich durch Fußball gelernt

„Es geht nicht um Leben oder Tod, es geht um mehr.“
Bill Shankly, legendärer Trainer des FC Liverpool

Fußball fasziniert. Fußball begeistert. Fußball bewegt. Welcher (männliche) Leser erinnert sich  nicht an besondere Momente seines Lebens im Zusammenhang mit dem runden Leder. Nicht umsonst werden bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland wieder weit über eine Milliarde Menschen an den Fernsehschirmen das Spektakel verfolgen.


Aber warum Fußball in einem Philosophieblog? Weil, so behaupte ich, man beim Fußballspielen und Fußballschauen so gut wie alles lernen kann, was man im Leben braucht. So wird die geneigte Leserin hoffentlich bei der Lektüre dieses Artikels verstehen, dass wir Männer durchaus auch das Bedürfnis haben, uns weiterzuentwickeln, zu lernen und die Welt zu verstehen. Nur dienen uns dazu nicht hauptsächlich lange Gespräche mit guten Freunden, Philosophiebücher oder Selbsterfahrungsworkshops. Ein Samstagabend im Stadion oder vor dem Fernseher, ja sogar das ausgiebige Studium des Sportteils der Tageszeitung am Montagmorgen erfüllen genau diesen Zweck (was im Übrigen der Grund für die meditative Versenkung ist, zu der wir bei all diesen Tätigkeiten fähig sind).


Vor Jahren machte ich eine interessante Erfahrung. Ich ging mit einigen Freunden zum Joggen in den Park. Dazu kam es nicht, denn eine Gruppe junger Türken spielte Fußball, und wir sahen interessiert zu. Ehe wir uns versahen, waren wir eingeladen mitzuspielen, bekamen einen ihrer Spieler damit die Teams gleich groß waren – den Schwächsten wie sich bald herausstellte – und es ging los.



Schnell zeigte sich, dass in unserer Gruppe nur zwei einigermaßen passable Fußballer waren. Unsere geübten Gegner dagegen spielten sich mit dem Ball. Jeder von ihnen wollte Ronaldo oder Messi sein, zaubern – und natürlich nur Tore schießen. Wir dagegen hatten vier Spieler, die nicht mal in der Lage waren, den Ball zu stoppen oder einen Pass zu spielen. Sehr schnell lagen wir mit 2:0 in Rückstand, ein Drama zeichnete sich ab.


Verärgert nahm ich dann die Sache in die Hand. Unseren Gastspieler ließ ich aufgrund seiner Disziplinlosigkeit im Tor spielen - mit dem Versprechen beim nächsten Tor des Gegners wieder ausgewechselt zu werden. Unsere vier schwächsten Spieler wurden in einem Halbkreis etwa zwanzig Meter vor dem Tor gruppiert. Dahinter stand ich und brüllte meine Anweisungen (mein Freund sagte mir später, er hätte mich noch nie so laut und wütend erlebt). Vor dem Halbkreis standen im Mittelfeld noch unsere beiden besten Spieler, die als einzige Pässe schlagen konnten, und als einziger Stürmer fungierte Julian, der zwar nicht besonders gut Fußballspielen, aber wie ein Wiesel laufen konnte. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Unsere Gegner verbissen sich in unserer engen Abwehr und brachten den Ball nicht mehr ins Tor. Sehr bald verloren sie die Lust, denn sie wollten ja alle - auch ihr Torwart - unbedingt Tore schießen.



Als sie so zu neunt in unserer Hälfte waren und den Ball verloren, konnte Julian ein Kontertor erzielen. Daraufhin wurden sie wütend, beschimpften sich gegenseitig, vernachlässigten noch mehr ihre Abwehr und verloren das Spiel. Wild diskutierend verließen sie den Platz, nicht ohne uns noch zuzurufen, dass das Spielen mit uns keinen Spaß mache.


An diesem Vormittag habe ich mehrere wichtige Dinge gelernt:



  1. Ich verliere ungern, und falls doch, werde ich wütend.


  2. Um Erfolg zu haben darf man nicht nur nach dem Lustprinzip handeln.


  3. Erfolg im Leben haben nicht immer diejenigen, die etwas am besten können, sondern die, die sich organisieren.


  4. Organisation heißt, dass jeder dort stehen soll, wo er am Nützlichsten ist.


  5. Ein Team braucht einen Chef.


  6. Manchmal wird derjenige der Chef, der am wütendsten ist und am lautesten brüllt.


Die Punkte eins bis fünf wurden mir im Übrigen Jahre später auf einem Manegementseminar – in wesentlich langweiligerer, längerer und teurerer Form – nochmals vermittelt. Punkt sechs war leider nicht Gegenstand dieses Seminars.


Ermutigt durch diese Erfahrungen begann ich nun, auch mein Lieblingshobby, das Zuschauen bei Fußballspielen nebst einschlägiger Interviews, unter philosophischen Gesichtspunkten zu verfolgen. Und es eröffnete sich eine neue, faszinierende Welt.



Nehmen wir zum Beispiel das legendäre Endspiel in der Champions Leage zwischen dem F.C. Bayern München und Manchester United, als ManU in den letzten drei Spielminuten ein 0:1 noch in ein 2:1 verwandelte. Statt wie andere Bayernfans nur erschüttert den Fernseher abzuschalten goss ich mir noch ein weiteres Bier ein, reflektierte das Erlebte und kam zu folgenden Erkenntnissen für mein weiteres Leben:



  1. Ein Spiel (wie das Leben) dauert bis zum Ende.


  2. Gib deshalb nie auf.


  3. Denn es ist immer noch irgendetwas möglich.


  4. Vergiss nie ein Reservebier für unerwartete Fälle kaltzustellen.



Und nicht nur durch solche Jahrhundertspiele eröffneten sich mir neue Einsichten, auch die kleinen Dinge am Rande des Geschehens waren auf einmal sehr spannend. Denken wir nur an die klassischen Trainerwechsel. Ein hochbezahltes Fußballteam, trainiert von einem modernen jungen Trainer, gerät in die Abstiegszone. Als neuer Trainer wird für die letzten drei Monate der Saison ein alter Haudegen verpflichtet, der nichts zu verlieren hat und keine Rücksichten nehmen muss, weder auf das Publikum, noch auf die Vereinspolitik und erst Recht nicht auf die Spieler und deren Hackordnung. Ob seine Mannschaft schön spielt ist ihm egal. Sein Training ist hart, seine Führung diktatorisch. Und das Wunder geschieht: Die Mannschaft spielt diszipliniert, kampfbetont, mit Teamgeist – und sie gewinnt. Der Abstieg wird verhindert. Für die neue Saison wird auf Wunsch des Publikums oder einiger Aufsichtsräte ein neuer moderner Trainer mit Visionen eingestellt und das Drama wiederholt sich. Die Lehren daraus:



  1. Um als Führungskraft die Dinge gut und richtig zu machen braucht es Unbestechlichkeit und Unabhängigkeit.


  2. Dafür ist es hilfreich, nichts zu verlieren zu haben.


  3. Tausche niemanden aus, der die Dinge erfolgreich macht. Wer weiß was danach kommt?



Irgendwann erkannte ich dann, dass ja die Akteure selbst, die Fußballspieler und noch mehr die Trainer, echte Philosophen sein müssten. Sie sind ja ihr ganzes Leben mit diesem faszinierenden Spiel befasst und daher naturgemäß voller tiefer Einsichten. Wenn man Glück hat, erhascht man nach den Spielen quasi taufrisch in Fernsehinterviews solche Erkenntnisse. Das ist der tiefere Grund, weshalb man(n) auch nach den Spielen nicht den Fernseher abschaltet und hochkonzentriert auf die Sätze eines verschwitzten, schmutzigen und atemlosen Spielers achtet. Welche tiefen Aphorismen sind auf diese Weise schon entstanden. Einen Klassiker der Fußballaphorismen lieferte der Bundesligaspieler Jürgen Wegmann, die selbsternannte Kobra: „Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.“ Auch vom legendären österreichischen Torjäger Toni Polster stammen unvergessliche Wahrheiten, z.B.: „Für mich gibt es nur „entweder - oder“. Also entweder voll oder ganz!“


Der Gottvater aller Fußballphilosophen war natürlich der Trainer der deutschen Weltmeistermannschaft von 1954, Sepp Herberger. Einige seiner unvergesslichen philosophischen Kernsätze sollen im Folgenden – ohne den Anspruch sie erschöpfend behandeln zu können – erläutert werden.



„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“
Nach jeder Aktivität oder Aufgabe im Leben wartet schon die nächste, neue Aufgabe auf uns. Darauf gilt es sich vorzubereiten. Wer zulange im Vergangenem verweilt, verliert den Anschluss und verpasst die nächste Aufgabe bzw. scheitert an ihr. Auch wenn es mal nicht gut lief, das nächste „Spiel“ wartet schon auf uns. Da können wir uns beweisen und verbessern. Wenn es aber gut lief, dürfen wir nicht vergessen, dass das nächste Spiel wieder auf uns wartet. Die vergangenen Erfolge zählen hier nicht.


„Das nächste Spiel ist das schwerste Spiel.“
Das Wichtigste ist immer die unmittelbar bevorstehende Aufgabe. Darauf gilt es sich zu konzentrieren. Sie erfordert unsere ganze Kraft. Zu weit in die Zukunft zu denken bringt nichts. Im Hier und Jetzt warten die wichtigen und schweren Proben des Lebens.


„Das Spiel dauert 90 Minuten.“
Konzentriere dich auf das Wesentliche im Leben, auf das was du sicher weißt und was wirklich wichtig ist! Dem widme dich mit aller Kraft. Spekulieren bringt nichts. Und vergiss nie: Bis zum Ende ist alles möglich!


„Der Ball ist rund.“
Dieser Satz ist eines japanischen Zenmeisters würdig und beinhaltet in verdichtetster Form alle Erkenntnisse des (Fußball)Lebens. Wie bei einem Zen-Koan gilt aber: Man kann ihn nicht erklären. Er ist nur der Intuition zugänglich.
Liebe Männer und Fußballfreunde: Seien wir wieder stolz auf unser philosophisches Hobby. Wir lernen hier Dinge fürs Leben. Und haben wir den Mut, unsere Erkenntnisse auch anzuwenden. Auf dem Fußballplatz - und im sonstigen Leben. Leben wir unser herrliches Spiel, und spielen wir unser Leben. Voller Begeisterung, Tatkraft, Ausdauer und Freude. Und vergessen wir nie die universelle Weisheit von Kaiser Franz (Beckenbauer): „Es gibt nur eine Möglichkeit – Sieg, Unentschieden oder Niederlage.“


Helmut Müller


Fußballaphorismen zum Nachdenken:


„Grau ist alle Theorie, wichtig ist auffen Platz.“
Adi Preißler, Dortmunder Fußballlegende

„Der Grund war nicht die Ursache, sondern der Auslöser.“
Franz Beckenbauer, Kaiser

„Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich allerdings alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.“
Jean-Paul Satre, Philosoph

„Ich bin Optimist. Sogar meine Blutgruppe ist positiv.“
Toni Polster, österreichischer Stürmer

„Ein Lothar Matthäus lässt sich nicht von seinem Körper besiegen, ein Lothar Matthäus entscheidet selbst über sein Schicksal.“
Lothar Matthäus, Rekordnationalspieler

„Mal verliert man, und mal gewinnen die anderen.“
Otto Rehhagel, Europameistertrainer

„Ich mache nie Voraussagen und werde das auch niemals tun.“
Paul Gascoigne, englisches Fußballgenie

„Wenn ich über´s Wasser laufe, dann sagen meine Kritiker, nicht mal schwimmen kann er.“
Berti Vogts, ehemaliger Bundestrainer

„Im Training habe ich mal die Alkoholiker meiner Mannschaft gegen die Antialkoholiker spielen lassen. Die Alkoholiker gewannen 7:1. Da war´s mir wurscht. Da hab i g´sagt: Sauft´s weiter.“
Max Merkel, Meistertrainer

„Ich habe fertig.“
Giovanni Trappatoni