So wahr uns Wissenschaft helfe?

Wissen, das den Menschen dient:

 „Es waren einmal zwei Forscher, die Experimente zu neuen Phänomenen mit Samen machten. Einmal kamen sie auf die Idee, den Samen eines Farns drei Tage lang einem statischen elektrischen Feld auszusetzen. Die Pflanzen aus diesen Samen sahen anders aus. Sie glichen jenen Formen, die man aus Millionen Jahre alten Versteinerungen kennt. Dann führten sie dasselbe Experiment an Maissamen durch und es entstanden Pflanzen, die bis zu 19 Kolben an einem einzigen Stamm hatten, statt normalerweise nur ein bis zwei Kolben. Der Mais wuchs schneller, war gehaltvoller, widerstandsfähiger und konnte wieder gepflanzt werden.




Da aber im Land Ziba Keigy auf dem Planeten Swiss die Leute davon lebten, den anderen Ländern dieses Saatgut und den dazugehörigen Dünger Jahr für Jahr zu verkaufen, wollte der König nichts von der Entdeckung der beiden Forscher wissen. Er versenkte das Wissen darüber in der tiefsten Schublade, die man in dem Lande finden konnte, und so lebten zumindest die Menschen von Ziba Keigy glücklich weiter, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“
Dieses Märchen ist von einem konkreten Fall abgeleitet, den man unter dem Stichwort „Urzeitcode“ recherchieren kann. Aber es ist auch als Märchen gültig, denn ähnliche Fälle tauchen oft auf und passieren auch in anderen „Ländern“ und auf anderen „Planeten“. Und es könnten noch viele andere „Märchen“ erzählt werden, die alle den Untergang der Wahrheit gegenüber kurzfristigen egoistischen Motiven zum Inhalt haben.
... aber was ist Wissenschaft wirklich oder was sollte sie sein?


 


Wissenschaft ist eine zivilisationsbildende Funktion


Die Fähigkeit, dauerhafte Gemeinschaften wie Zivilisationen zu bilden, beruht auf einem ganzheitlichen Wissen. Wissenschaft orientiert sich dabei idealerweise an der platonischen Idee „des Wahren“. Aber auch die anderen zivilisationsbildenden Parameter Politik, Religion und sogar die Kunst benötigen auf ihrem Weg der Verwirklichung der platonischen Ideen des Gerechten, Guten und Schönen hoch entwickelte Forschung, also Wissenschaft.
Wenn wir bei den antiken Hochkulturen suchen, dann finden wir unglaubliche Anwendungen von Wissenschaft, aber gleichzeitig fehlt es an Funden, die zeigen, wie dieses Wissen beschaffen war, wie es gewonnen, bewahrt und weitergegeben wurde.




Es erscheint dabei eine interessante Diskrepanz. Einerseits fühlen wir angesichts der Dauerhaftigkeit antiker Kulturen, dass hier ein besonderes Wissen vorhanden sein musste. Andererseits sind wir von der Großartigkeit und Überlegenheit unseres modernen Wissens voll überzeugt. Diese moderne „Überlegenheit“ geht sogar so weit, dass man den alten Kulturen wirkliches Wissen abspricht.
Denn man nimmt heute an, dass sich Wissenschaft erst durch die Trennung von Religion entwickeln konnte. Dieses Argument ist schwer zu widerlegen, aber es ist trotzdem falsch.
Wissenschaft als Weg zum Wahren ist kein Spezifikum des modernen materialistisch-atheistischen Denkens, es ist eine zivilisationsbildende Kraft, die jeder Weltanschauung ihre Existenzgrundlage verleiht.


 


Die Weltanschauung prägt die Wissenschaft


Jede Weltsicht hat ihre eigene Art der Wissenschaft geschaffen. Zur besseren Klärung, was Wissenschaft sein kann, werden nun drei Weltsichten präsentiert, die in ihrer Ganzheit die drei grundsätzlichen Möglichkeiten des Denkens darstellen:



  • Das materialistisch-atheistische Weltbild
    Es beruht auf der apriorischen Annahme, dass nur die Materie existiert. Damit ist die Existenz von Gott, Göttern, Seelen, Engeln, Geistern grundsätzlich ausgeschlossen. Man argumentiert dies auch mit der Notwendigkeit, dass Versuchsergebnisse nur als „objektiv“ angesehen werden, wenn sie nicht von einer geistigen Welt manipuliert werden. Diese Art des Denkens ist in der modernen Wissenschaft derzeit vorherrschend.



    Die Annahme, dass es nur Materie gibt, ist eine nicht beweisbare apriorische Annahme und daher kann man sie als Glaubenssatz bezeichnen. „Nichtexistenz“ (in diesem Falle von Gott) ist vom Standpunkt der Wissenschaftstheorie grundsätzlich unbeweisbar.


  • Das dualistisch-theistische Weltbild
    In diesem Weltbild wird der Materie ein zweites (duales) Prinzip –– Gott –  gegenübergestellt. Es ist das Weltbild der monotheistischen Religionen. Man hat sich große Mühe gegeben, die Existenz Gottes zu beweisen, aber es gelang nicht, zweifelsfreie Gottesbeweise zu finden.
    Die dualistisch-theistische Weltsicht hat aber unter anderem aus der Vorstellung, dass die Dinge von Gott bzw. auch manchmal vom Teufel gelenkt werden, wenig forscherische Aktivität entwickelt.


  • Das monistisch-pantheistische Weltbild
    In diesem Weltbild ist die Natur, das Universum, also einfach alles, ein riesiges lebendiges Wesen, ein „Makrobios“. „Pan“ heißt auf Griechisch „Natur“ und „alles“. In der Philosophie wird dieser „Gott“ das EINE genannt. Da das EINE keine Grenzen hat, muss es überall sein, d.  h. an jedem Punkt. Es kann also keinen Punkt geben, an dem nichts ist, denn ein Loch im EINEN wäre eine Grenze.
    Dies führt zu einer eigenen Materiedefinition bzw. zu einer heute kaum bekannten Vorstellung über die Entstehung des Kosmos. Plotin z.  B. beschreibt mit dem Begriff „Hypostase“ eine schrittweise Entstehung feinstofflicher – also grundsätzlich stofflicher – Ebenen, indem das EINE „ausfließt“, emaniert. Das griechische Wort hypóstasis bedeutet  „Niederschlag“ wie z.  B. der Bodensatz beim Wein.
    Daraus folgt die logische Annahme feinstofflicher Ebenen. Da in diesem Weltbild alles belebt ist, müssen diese Ebenen auch Träger von Lebensprozessen sein. So öffnet sich das Weltbild in „geistige“ oder klarer in feinstoffliche Ebenen, die mit geeigneten Instrumenten physikalisch erfassbar sein dürften.
    Wissenschaft ist in diesem Weltbild also viel weitläufiger anzusehen, denn sie umfasst auch Bereiche, die heute im dualistisch-theistischen Weltbild als geistig bzw. im materialistisch-atheistischen Weltbild als nicht existent gelten.


Bei dem Vergleich dieser Weltsichten ergibt sich die Notwendigkeit, aus philosophischen Gründen den Wissenschaftsbegriff neu und umfassender zu definieren.


 


Was wissen wir wirklich?


Jeder Mensch hat in seinem Leben viel in der Schule, aus dem Fernsehen, aus Büchern und Zeitschriften oder dem Internet gelernt. Aber was davon ist echtes Wissen? Und was sind lediglich Meinungen, die durch allfällige Nachrichten problemlos verändert werden können? Wer hier ehrlich ist, wird wie Sokrates erkennen, dass er (fast) nichts weiß – aber viele Meinungen hat.
Nehmen wir ein plakatives Beispiel: (Fast) jeder kennt den Begriff „Relativitätstheorie“.




Es ist jene Theorie, auf deren Grundlage die wichtigsten Theorien über die Entstehung des Kosmos ruhen. Aber sehr wenige verstehen sie. Der Physiker Leopold Infeld, ein Freund Einsteins, hat einmal auf die Frage, ob es stimme, dass nur 10 Leute weltweit die Relativitätstheorie verstehen würden, geantwortet: „Nein, es sind mindestens zwanzig, aber Einstein gehört nicht dazu.“
Dieser Bereich der Physik, obwohl weltanschauungstragend, ist ein Spezialgebiet sehr weniger Physiker. Dies bedeutet, dass selbst der durchschnittliche Physiker sich hier lediglich im Bereich der Meinung befindet, seine Ansichten damit nicht auf fundiertem Wissen, sondern auf Glauben beruhen.


 


Wie findet man die Wahrheit oder kommt ihr zumindest näher?


Es ist nicht leicht, die Wahrheit zu finden. Es gibt in den Wissenschaften heute viele Hypothesen, die einerseits bislang nicht bestätigt werden konnten. Andererseits werden diese Hypothesen aber für die Begründung neuerer Hypothesen herangezogen. So entsteht dann das Phänomen, dass sich unbewiesene Hypothesen gegenseitig stützen und am Leben erhalten.




Das zu entwirren ist fast unmöglich.
So war es die „offizielle Wissenschaft“, die das Fernglas von Galilei, die Kugelgestalt der Erde, die Möglichkeit, dass Gegenstände, die schwerer als Luft sind, fliegen könnten, die Existenz von Troja, die Möglichkeit der Telepathie, der Hypnose und so vieler anderer Dinge leugnete, die dann bestätigt wurden.
Es soll hier ein Vorgehen skizziert werden, das ermöglichen soll, eine Theorie oder Hypothese möglichst objektiv nach ihrem Wahrheitsgehalt zu untersuchen:



  1. Welchem Weltanschauungsrahmen gehört die Hypothese oder Theorie an?


  2. Wir können heute nicht eine weltanschauungsoffene Wissenschaft erwarten, aber wir können zumindest dokumentieren, zu welchem Weltanschauungsrahmen eine Theorie oder Hypothese gehört.


  3. Welche Gründe haben zu deren Bildung geführt?


  4. Welche Prämissen wurden bei der Formulierung gesetzt und gelten sie noch?


  5. Wie wurde die Hypothese oder Theorie abgeleitet? Wurden hier Fehler gemacht?


  6. Welche Beweise, Bestätigungen, Widerlegungen bzw. Kritik gibt es?


  7. In welche nachfolgenden Hypothesen oder Theorien ging die untersuchte Theorie oder Hypothese ein?


  8. Welche Alternativtheorien gibt es? Diese sind ebenso zu untersuchen!



Beurteilung der Integrität der Forscher und Forschungsinstitutionen
Derartige Untersuchungen sind heute noch nicht üblich, aber in Zukunft wird es unumgänglich sein, um Ordnung in der Wissenschaft zu schaffen und einen besseren Blick darauf zu haben, was wahr sein könnte.


 


Weisheit – Die Notwendigkeit einer neuen Wissenschaft


Wahrheit ist. Wie wir gesehen haben, ist es aber sehr schwierig, die Wahrheit als solche zu erkennen. Wir schaffen es üblicherweise nicht, die Ebenen der Meinung zu verlassen. Meinungen können der Wahrheit entsprechen, aber wir können uns dessen nicht sicher sein.




Weisheit hat im Vergleich zur Wahrheit aber noch eine andere Dimension, nämlich jene der rechten Verwendung der Wahrheit beziehungsweise die Dimension des entsprechenden Tuns ganz allgemein. Wenn wir die antike ägyptische Kultur betrachten, dann ist uns die unglaubliche Dauerhaftigkeit über Jahrtausende hinweg rätselhaft. Eine wichtige Methode, dies zu erreichen, war die Übertragung des Heiligen auf jeden Aspekt des Lebens.
Heute erleben wir das genaue Gegenteil, die völlige Vertreibung des Heiligen aus allen Lebensbereichen. Und damit verbunden ist die heute überall erkennbare Auflösung dauerhafter Strukturen.
Der Renaissancephilosoph Giordano Bruno hat in seinem Werk „Die Vertreibung der triumphierenden Bestie“ die Sternbilder durch Tugenden „ersetzt“. Die Wahrheit stellte er zum Polarstern. Sie ist damit das einzig Unveränderliche. Die Weisheit bekommt den Platz des Sternbilds „Drachen“, das sich um den Polarstern rankt und somit die Wahrheit „beschützt“. Die Wahrheit muss durch Weisheit verhüllt werden. Heute kennen wir „Geheimhaltung“ aus egoistischen und opportunistischen Gründen. In den Mysterien gab es „Geheimhaltung“, um egoistische Nutzung zu verhindern.


 


Zusammenfassung


Wissenschaft als zivilisatorische Funktion hat die Aufgabe, dem Menschen zu dienen. Es geht in diesem Zusammenhang nicht nur um das Erkennen der Wahrheit, sondern um das weise Nutzen des Erkannten oder der für wahrscheinlich erachteten Hypothesen. Wir brauchen eine neue Wissenschaft, die nicht im Dienste derer steht, die am besten zahlen, sondern für jene arbeitet, die sie am meisten benötigen.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 145, Juli 2016 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht, Autor: Wigbert Winkler


Literaturhinweis:
Sheldrake, Rupert: Der Wissenschaftswahn – Warum der Materialismus ausgedient hat; München 2012.
Chalmers, Alan F.: Wege der Wissenschaft – Einführung in die Wissenschaftstheorie; Berlin Heidelberg 2007.
Unzicker, Alexander: Vom Urknall zum Durchknall – Die absurde Jagd nach der Weltformel; Berlin Heidelberg 2010.
Collins, Harry; Pinch, Trevor: Der Golem der Forschung – Wie unsere Wissenschaft die Natur erfindet; Berlin 1999.
Seyyed Hossein Nasr: The Need for a Sacred Science; Richmond UK 1993


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