Ayurveda - Das Wissen vom guten Leben

Das zunehmende Interesse an traditionellen natürlichen Lebens- und Heilmethoden erweckt immer stärker die Aufmerksamkeit westlicher Kulturkreise und gewinnt dadurch auch in wissenschaftlichen Kreisen immer mehr Anhänger.

Die Blütezeit erlebte der Ayurveda mit dem Aufkommen des Buddhismus ca. 6oo v. Chr. Seine Wurzeln reichen aber viel weiter in die Zeit des Hinduismus um ca. 1500 v. Chr. zurück.


Die weisen vedischen Hymnen, welche die Lehre beschreiben, beeinflußten nicht nur den indischen, sondern darüber hinaus den arabischen und später den griechisch-antiken Raum, von dem wiederum unsere Medizin inspiriert wurde. Hippokrates, der große griechische Arzt, der als Begründer der medizinischen Wissenschaft gilt, profitierte z. B. von dem umfassenden Schrifttum der indischen Veden.


Das ayurvedische Repertoire an Heil- und Lebenshinweisen gehört zum Standard indischer Ärzte und wurde so zum Eckpfeiler der Staatsmedizin. Allerdings behielt man die Rezepturen von vor 1000 Jahren bei und entwickelte die Methodik nicht wesentlich weiter. In den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts erlebte der Ayurveda in Indien eine bedeutende Renaissance. Ärzte vertieften und verbreiteten ihre Kenntnisse, und die Heilmittel aus der Natur gewannen an Bedeutung.


 


Ayurveda - eine Lebenskunst


Ayurveda ist nicht nur Heilkunde, sondern ein Aspekt einer umfassenden ganzheitlichen Lebenssicht. In erster Linie ist er eine religiös inspirierte Philosophie, d. h. eine Geisteshaltung. Der Mensch, der mit der Natur und im Kosmos lebt, ist verbunden mit allen mineralischen, pflanzlichen und tierischen Erscheinungsformen. Aus dieser Erkenntnis heraus ist diese Lehre ein wichtiger Bestandteil des ayurvedischen Gesamtkonzepts. Dies soll dafür sorgen, daß der Mensch möglichst sorgenfrei und ohne Beschwerden leben kann. So gesehen ist Ayurveda eine Lebenskunst.


Da der Mensch sich in seinem Leben ständig verändert, stets neuen und wechselnden Reizen wie Umgebung, Tageszeit, Temperatur, Jahreszeit, Lebensalter, Mitmenschen und deren Stimmungen, Aktivität und Ruhe, Aggression oder Freundlichkeit usw. ausgesetzt ist, bemüht sich der Ayurveda um Anpassung und Ausgleich.


Göttliche Weisheiten


Der Ayurveda, das „Wissen vom guten Leben", ist in vielen tausend Versen in Sanskrit niedergeschrieben. Als Urheber gilt der Gott Brahma. Der Überlieferung nach gab er die Anleitungen dazu, wie das Leben im Einklang mit den kosmischen Gesetzen zu führen sei. Als praktischen Teil fügte er noch die wissenschaftliche Anführung zum Erhalt der körperlichen, geistigen und spirituellen Gesundheit hinzu. Sieben Weise, die ihn um Hilfe und Unterweisung gebeten hatten, da sie das Leid der Welt nicht mehr ertragen konnten, verbreiteten dann die Lehre unter den Menschen.


Samkhya-Philosophie


Die Wurzeln der vedischen Hymnen liegen im höheren Bewußtsein, in dem sich auch die Impulse der Naturgesetze, die das Universum regieren, befinden. „Der dies kennt, bewegt sich in Ausgeglichenheit, in der Ganzheit des Lebens."



Der Schöpfungsgedanke, welcher der Samkhya-Philosophie zugrundeliegt, geht auf die Weisheiten des Rishi Kapila zurück. Er beschrieb die Grundlagen des Universums und die Entwicklung allen Seins. Da alles Beseelte und Unbeseelte in der Natur durch gemeinsame Herkunft in fortwährender Beziehung zueinander ist, steht kein Mensch, Stein, Tier oder Pflanze allein, jeder Organismus wird durch alle Mitgeschöpfe beeinflußt, die mit ihm oder für ihn wirken.


Die Samkhya-Lehre ist durch ihre globale Sicht, die nicht nur auf dem Verstand basiert, geeignet, alle Sinne zu benutzen, um die Welt zu begreifen, zu fühlen, zu hören, zu tasten, zu schmecken und zu riechen.


Der Verstand hat dabei die Aufgabe, alle Informationen der Sinne zusammenzufassen und zu analysieren. Solche Denk-und Lebensweise setzt sich demzufolge mit  allem, was uns begegnet, intensiv auseinander, und kann das einschienige, westliche Gedankengut nur bereichern.


Sanft und individuell


Die ayurvedische Lehre umfaßt das Zusammenwirken allen Lebens in der Natur - ist jedoch nicht dogmatisch und hat nicht den Anspruch des Alleingültigedlichen Typen. Sie steht allen Menschen offen. Es gibt keine starren Regeln, die vorschreiben, wie man Gesundheit, Glück und Schönheit erhält. Die Lehre gibt lediglich Empfehlungen. Dabei passen sich die Behandlungen den jeweiligen Bedürfnissen der unterschien an.


Im Ayurveda ist jeder etwas Unverwechselbares, von unterschiedlichen Lebensumständen, Möglichkeiten und Wünschen geprägt; Menschen haben unterschiedliche Ausdrucksweisen und Ausstrahlungen. Der Vaidya, der ayurvedische Arzt, berücksichtigt bei seiner Diagnose nicht nur den Körper seines Patienten, denn er ist nicht nur Mediziner, sondern in erster Linie ein Weiser, ein Philosoph, der die geistige und spirituelle Seite des Lebens kennt und einbezieht.


Diagnose und Heilung



Zunächst schaut der Vaidya sich die individuelle körperliche Konstitution an, wie sie im Wechselspiel mit Geist und Seele steht. Er betastet den Körper des Patienten, riecht seinen Atem, hört auf Körpergeräusche, schmeckt den Schweiß. Dadurch kann er den Konstitutionstyp, also die Natur des Menschen feststellen und  ebenso, wodurch das Ungleichgewicht verursacht wurde, das zur Krankheit führte. Ebenso wichtig ist der Puls und der Zustand der Zunge.


Im ayurvedischen Sinn ist nur derjenige gesund, dessen Körper, Geist und Seele in ausgewogenem Verhältnis zueinander stehen. Deshalb ist die Behandlung nie nur nach einem Symptom ausgerichtet, sondern hat immer den ganzen Menschen im Auge. Sie beinhaltet oftmals Ernährungsumstellung, Vorschläge zur Tagesgestaltung, gezielte Therapie zur Regeneration und Heilung. So wirken diese Behandlungen besonders günstig bei chronischen Leiden und psychosomatischen Beschwerden.


Vielfalt der Natur


Da die Samkhya-Philosophie lehrt, daß jedes Geschöpf zwar ein Ganzes für sich ist, aber wiederum mit dem großen Ganzen des Universums gemeinsam wirkt, wird klar, daß jeder Mensch seine Energie und Lebenskraft aus allem bezieht, was ihn umgibt.


Ayurveda weist deshalb der Natur einen hohen Stellenwert zu.  Alle Mittel zur Heilung und gesunden Lebensführung werden auf natürlicher Basis hergestellt; das zeigt, daß die Natur alles bereithält, was für ein angenehmes Leben notwendig ist. Pflanzen besitzen deshalb einen besonderen Status und werden sogar als heilig verehrt. In jedem Mineral und jeder Pflanze ist Kraft und Energie der Natur verdichtet. Dabei wirken pflanzliche Substanzen oder Wirkstoffe nicht nur auf den Körper allein. Dieses ganzheitliche Prinzip wird auch in der Ernährung berücksichtigt.


 


Menschenbild


Die Grundstruktur des Menschen ist wie alles Leben und alle Materie ein Teil des Kosmos. In jeder Materie befinden sich die fünf Elemente: Feuer - Erde - Wasser - Luft - und Äther (Raum). Im Organismus des Menschen kann man sie folgendermaßen zuordnen:



  • Erde:   Skelett, Bewegungsapparat, Muskeln, Bänder, Sehnen, Haut und Haar.



  • Wasser: Urin, Schleim, Gewebeflüssigkeit, Speichel, Tränen, Zellflüssigkeit.



  • Luft: Beweglichkeit der Muskeln, Lungen- und Herzfunktion, alle Bewegungen im Körper und Nerven.



  • Feuer: Stoffwechselfunktionen, Verdauung, intellektuelle Tätigkeit des Gehirns und Sehvermögen.



  • Äther: Hohlräume des Magen-Darmtrakts, Brustraum, Mund- und Rachenraum, Atemwege sowie Arterien und  Venen.


Alle Elemente sind allerdings ebenso in immaterieller Form vorhanden und wirken so auf das Leben ein. Ein Element kann sich also auch über bestimmte Gesten oder eine besondere Lebenshaltung bzw. Wesensart ausdrücken. In anderer Form finden wir sie in unserer Nahrung wieder. Somit kann eine warmherzige Umarmung, ein wärmendes Feuer, eine „scharfe" Mahlzeit oder ein aggressiver und zorniger Mitmensch für das Element Feuer stehen.


Ebenso sind die fünf Elemente mit den sinnlichen Empfindungen und Eindrücken verbunden. So gehört hierher auch der Sehsinn und - mit dem Gehen und Laufen - die Füße als ausführendes Organ. Geruchssinn, Nase, Darm und Ausscheidungsfunktion werden der „Erde" zugeordnet. Wasser hängt mit dem Geschmackssinn und den Fortpflanzungsorganen zusammen. Zur Luft gehört der Tastsinn ebenso dazu wie die Haut und die Hand. Hören und Horchen ordnet man dem Element „Äther" zu genauso wie Ohr und Sprechorgane.


 


Die drei Doshas



Indem sich die Elemente zu Paaren verbinden, formen sie insgesamt drei Doshas, also drei Regelkreise für gewisse Grundprinzipien, welche die verschiedenen Erscheinungsformen des Menschen in gesunden oder kranken Tagen ausdrücken und seine körperlichen und seelischen Vorgänge steuern. Diese Doshas sind in jeder Zelle des Körpers vorhanden und steuern den Organismus ebenso wie die Psyche. Generell unterscheidet man sieben Typen, die das körperlich-seelische Erscheinungsbild  dominieren.





  • Kapha






  • Pitta






  • Vata





Diese Unterscheidung sollte aber nicht absolut, sondern als Ausrichtung betrachtet werden, denn innerhalb jeder Ausprägung gibt es noch vielerlei Feinabstufungen. Das Ziel ist es, diese Doshas in einem Gleichgewicht zu halten oder dahin zu bringen. Die Harmonie zwischen den Doshas wird im Sanskrit „Sattwa" genannt. Jeder kann im Alltag ohne großen Aufwand dafür sorgen, daß seine Doshas im Gleichklang bleiben, wenn er über seine konstitutionelle Beschaffenheit Bescheid weiß.


Das Kapha-Dosha besteht aus den Elementen Erde und Wasser. Eine Kapha-Natur steht im Ayurveda für gute Gesundheit im allgemeinen. Pitta setzt sich aus Feuer und Wasser zusammen, und Vata wird durch Luft und Äther repräsentiert. In der einschlägigen Literatur gibt es eine Fülle von Listen, mit deren Hilfe man seinen Typ herausfinden kann und die Aufschluß über die körperlich-seelische Ausprägung geben.


Dem interessierten Leser sei diese empfohlen, denn diese Ausführungen würden den Rahmen dieser Aufzeichnungen sprengen.


Doshas im Laufe des Lebens


Von der Kindheit bis zum Alter werden die Lebensvorgänge von den Doshas geregelt. In der Kindheit herrschen Kapha-Elemente vor, beim Erwachsenen ist Pitta vorherrschend, und Vata tritt als Prinzip im höheren Alter hervor.


Der Ayurveda zeigt eine große Vielfalt an auf den jeweiligen Konstitutionstyp abgestimmten Ratschlägen auf, die grundsätzlich darauf abzielen, den spirituellen und geistigen Zustand mit dem Körper in Übereinstimmung zu bringen. Erst dann fühlt der Mensch sich im Gleichgewicht und strahlt dies nach außen. Man kann die Doshas über Ernährung - vor allem durch pflanzliche Lebensmittel und Gewürze - sowie über Schönheitspflege und Lebensstil beeinflussen. Diese stellen in Zusammenhang mit äußeren und inneren Rhythmen, der Tages- und Jahreszeit und Berücksichtigung des Lebensalters sowie der Leistungsfähigkeit die Harmonie wieder her oder halten sie aufrecht.


 


Sanfte Medizin



Eine zentrale ayurvedische  Therapieform, das Panca-Karma, bedeutet „fünf Handlungen". Dies besteht in reinigenden Behandlungen, die von den meisten Menschen als Inbegriff des Ayurveda gelten. Bestandteil dieser Behandlungszyklen sind z. B. Ölanwendungen wie Ölmassagen, Ölbäder und Ölgüsse. Allerdings ist Panca-Karma viel mehr, nämlich die grundlegende Basis der traditionellen indischen Heilkunde - ein Jungbrunnen für Seele und Körper, der das Wohlbefinden spürbar anhebt.


Die Methode unterteilt sich in drei Abschnitte, die aufeinander folgen:




  1. das Purva-Karma,


    die Vorbereitung




  2. das Pradhana-Karma,


    die Ausleitung und Reinigung




  3. das Pascata-Karma,


    die Nachbehandlung




Das Panca-Karma mit seinen fünf Behandlungsgruppen ist ganzheitlich wirksam. Sie beeinflussen durch intensive Entschlackung den Abbau schädlicher Rückstände aus dem Organismus und erhöhen andererseits die Immun-Aktivität. Die Selbstheilungskräfte werden angeregt, Nerven- und Hormonsystem harmonisiert. Das erwünschte Gleichgewicht der Doshas wird wiederhergestellt.


Panca-Karma dient aber nicht nur der Gesundheit, sondern auch der äußeren und inneren Schönheit, z. B. die Ölbehandlungen pflegen und steigern die seelische Stabilität, Zufriedenheit und Ausgeglichenheit.


Vor der eigentlichen Reinigung wird durch Purva-Karma die Ausleitung der Giftstoffe in Gang gesetzt. Äußerlich massiert man medizinische Öle ein, die den Stoffwechsel der Muskeln und des Bindegewebes anregen, innerlich wird ein erhöhter Blutfettwert durch Einnahme von gereinigtem Butterfett (Ghee) hervorgerufen, der z. B. Kalkablagerungen oder Cholesterin entfernt. Wärmebehandlungen folgen dieser Vorbereitung, um die Wirkung durch verstärktes Schwitzen zu intensivieren. Die Ausleitung erfolgt durch das Pradhana-Karma mit einer Reihe von Maßnahmen wie dem therapeutischen Erbrechen, der Abführkur, dem Darmeinlauf, der Behandlung der Nasenschleimhaut und dem Aderlaß.


In der westlichen Welt finden diese Anwendungen zunehmend Anklang, und zwar nicht nur bei Laien, sondern auch in Fachkreisen der Mediziner. Nicht nur zur Behandlung von Erkrankungen, sondern  mehr noch zur Prävention kann der Einsatz der Reinigungstherapien dem Entstehen vieler Beschwerden entgegenwirken.


 


Ayurvedische Küche



Wie die geschilderten Therapien hat auch die Ernährung das Ziel, die drei Doshas Kapha, Pitta und Vata im Gleichgewicht zu halten. Falsche Nahrung ist eine Hauptursache von Krankheiten, und so bezieht der Vaidya diese stets in die Behandlung mit ein. Die Forderung, die Ernährung sollte dem jeweiligen Konstitutionstyp entsprechen, richtet den Speiseplan so aus, daß die Nahrungsqualität im Gegensatz zu den Eigenschaften des gestörten Doshas steht. Kapha z. B. ist schwer und süß und kann daher durch heiß, leicht und scharf reduziert werden - z. B. durch einen Ingwersaft-Cocktail mit heißem Wasser.


Die Ernährungslehre ist leicht nachvollziehbar, da sie nicht Vitamine, Mineralstoffe oder Nährstoffe in den Vordergrund stellt, sondern die individuelle Verträglichkeit der Nahrung.


Die westliche Küche muß daher nicht aufgegeben werden. Durch acht verschiedene Prinzipien werden die Speisen zusammengestellt, und zwar durch die Empfehlungen der „Caraka-Samhita".


1. Pakriti: Qualität der Lebensmittel


Die wichtigsten Eigenschaften der Nahrungsmittel sind physikalische Charakteristika - Guna - und Geschmacksrichtungen - Rasa. Eigenschaften wie schwer, leicht, fest, flüssig, kalt, warm usw. werden hier zugeordnet. Geschmack ist Ausdruck der Energie und gibt Aufschluß über die Inhaltstoffe.


2. Karana: Art der Zubereitung


Auf Frische und Zubereitung unmittelbar vor dem Essen achten. Wichtig ist die innere Einstellung bei der Herstellung der Mahlzeit und der Respekt vor der Speise sowie die Freude beim Kochen. Dies dient der Gesundheit.


3. Samjoga: Kombination der Lebensmittel


Zusammenstellung der Mahlzeit, z. B. Hülsenfrüchte mit Anis, Fenchel oder Kümmel, um blähende Wirkung zu mindern.

4. Rashi: Menge


Ayurveda empfiehlt je 1/3 des Magens mit Nahrung, Wasser und Luft gefüllt zu haben, dann läuft die Verdauung optimal.


5. Desha: Herkunft der Lebensmittel


Nahrungsmittel bevorzugen, die aus der Gegend stammen, in der man lebt. Sie sind am verträglichsten.


6. Kala: Zeitpunkt


Frühstück so früh wie möglich und leichtverdaulich. Mittags Hauptmahlzeit, die Verdauung ist jetzt am besten und diese Mahlzeit darf auch mengenmäßig die größte sein. Das Abendessen früh einnehmen, möglichst nicht mehr nach 19 Uhr essen.


7. Upayoktrin: persönliches Befinden


Großen Wert auf entspanntes Essen legen, und nicht essen, wenn nur Appetit und kein Hunger vorhanden ist.


8. Ruta: Jahreszeit


In jeder Jahreszeit wirkt ein bestimmtes Dosha stärker auf den Organismus ein: im Frühjahr eine Kapha-dämpfende (Erde-Wasser) Kost, im Sommer und Frühherbst eine Pitta-beruhigende (Wasser-Feuer) und im Spätherbst und Winter eine Vata-abschwächende (Luft-Äther) Nahrung.


Nahrung für Leib und Seele



Die Wirkung der Nahrung hat natürlich ebenso Einfluß auf den feinstofflichen wie auf den physischen Körper.  Dies wird danach beurteilt, ob die betreffenden Nahrungsmittel Sattwa-, Rajas- oder Tamas-Qualitäten besitzen.


Speisen mit Sattwa-Qualität sind von einwandfreier, allerhöchster Qualität. Sie öffnen das Bewußtsein, fördern emotionale Harmonie, Intelligenz und Wahrnehmungsfähigkeit. Typisch sind hierfür Lebensmittel, die frisch, saftig, ölig, nahrhaft und süß sind, wie z. B. Weizen, Roggen, Mais, Milch, Butter, Honig, Rohrzucker, grünes Gemüse und Blattgemüse, Früchte und Nüsse. Die lacto-vegetarische Ernährung ist der sattwischen Kost  am nächsten, deshalb sollte man dieser den Vorzug geben.


Nahrungsmittel mit Rajas-Eigenschaften sind von leidenschaftlicher Qualität und fördern emotionale Regungen wie z. B. Wut, Ärger, Aggression, ungesunden Ehrgeiz. Um uns durchsetzen zu können, benötigen wir ein gewisses Quantum an rajasischen Speisen. Es sind alle scharfen, salzigen, sauren, heißen und trockenen wie z.B. Knoblauch, Zwiebeln, Bier, Wein, ölige und fettige Nahrungsmittel.


Tamas-Nahrung ist passiv und fördert Geiz, Gier, Ignoranz, Pessimismus, Zweifel, Unsicherheit und Entscheidungsunfähigkeit.  Tamas sind verbrannte oder verdorbene Speisen, Essensreste sowie zu lange gelagerte oder gekochte Nahrungsmittel. Auch Konserven, Fertiggerichte, Tiefkühlkost und hochprozentiger Alkohol gehören in diese Kategorie ebenso wie Fleisch, Eier und Fisch.


Nach einem ayurvedischen Essen fühlt der Mensch sich gestärkt und erfrischt. Auch hierfür gibt es hervorragende Koch- und Rezeptbücher.


Es stellt sich nun allerdings die Frage, wie diese Prinzipien in einer Familie mit unterschiedlichen Konstitutionstypen oder mit Gästen verwirklicht werden können? Einfach dadurch, daß zu den Speisen verschiedene Gewürze gereicht werden und diese in unterschiedlich großen Mengen oder anstatt gedünstet z. B. roh gereicht werden.


Die Rasayanas


Das Wort Rasayana heißt: „im Fluß, in Bewegung halten" und tatsächlich fördern diese den Fluß der Lebensenergie im Körper, halten körperliche und geistige Funktionen in Gang, unterstützen die Regeneration von Zellen, Körpergeweben und Organen und erhöhen die Konzentrationsfähigkeit. Im Ayurveda wendet man sie zur allgemeinen Steigerung der Leistungsfähigkeit und zur Immunstimulation, zur Vorbeugung und Regeneration an. Sie bestehen zumeist aus komplexen Verbindungen verschiedener Heilkräuter und Mineralien, die in aufwendigen Verfahren hergestellt werden. Ihre Wirkung beruht auf der Synergie mehrerer Substanzen, die sich gegenseitig ergänzen und verstärken und somit ihr Wirkspektrum vergrößern. Außer diesen abgestimmten Wirkstoffpräparaten gibt es drei „natürliche" Rasayanas, die die Natur für uns bereit hält: Ghee, Honig und Milch. Beim Ghee handelt es sich um gereinigte Butter, die in Indien allerdings aus


Joghurt hergestellt wird. Joghurt-Butter läßt sich durch den durchlaufenen bakteriellen Prozeß hinterher jahrelang aufbewahren, ohne daß sie ranzig wird. Ghee besitzt umfassende Heilwirkungen.


Honig andererseits gilt ja auch in der westlichen Heilkunde seit  Jahrtausenden als Heilmittel, die ihm ebenso im Ayurveda bescheinigt werden. Er fördert die intellektuellen Fähigkeiten, die Verdauung und die Abwehrkraft, verstärkt die Heilfähigkeit anderer Substanzen und wirkt heilend bei zahlreichen Hauterkrankungen. Er hilft bei Bronchitis, Hämorrhoiden, chronischen Harnwegsentzündungen, Darmparasiten, mentaler Müdigkeit, Intoxikation und Erbrechen sowie äußerlich zur Wundheilung bei Augenverletzungen. Ein weiterer Vorteil: Honig fördert - in Verbindung mit heißem Wasser eingenommen -  den Abbau von Fettgewebe und ist eine wirksame Hilfe, um den Zeiger der Waage langfristig gesehen wieder nach unten wandern zu lassen. Nicht zuletzt ist Milch ein hochgeschätztes Gesundheitselixier, das alle Lebensenergien in Fluß halten kann. Ayurveda schreibt ihr verjüngende und stärkende Kräfte zu. Ferner gilt sie als entgiftend, appetit- und verdauungsanregend sowie regenerierend bei Überreizung der Nerven.


Medizin aus der Küche


Eine herausragende Stellung unter den Medizinen aus der Küche nehmen die Gewürze ein. Würzkunst ist Heilkunst, und aus den jahrtausendealten Erfahrungen haben sich eine Fülle von vorbeugenden und heilenden Rezepturen mit Gewürzen entwickelt. Anis, Basilikum, Datteln, Ingwer, Muskatnuß und Sesam sind z. B. in ihren Einzelwirkungen unübertroffen und haben spezifische Eigenschaften, über die man sich in der entsprechenden Literatur informieren kann.


 


Im Einklang mit den Rhythmen



Ayurveda befaßt sich sehr eingehend mit den biologischen Rhythmen  und deren Zusammenhängen mit den Zyklen der Natur. Wer aus den natürlichen Lebensrhythmen herausfällt, verliert sein inneres Gleichgewicht und wird anfälliger für geistige und körperliche Störungen. Der Mensch sollte sich deshalb möglichst den Bewegungen der Natur anpassen und im Einklang mit deren Gesetzen leben. „Die Ursachen von Krankheiten des Körpers wie auch des Geistes sind dreifach: falscher, fehlender oder übermäßiger Gebrauch von Zeit, Verstand, Sinnen und Objekten."


An einem Tag erleben wir verschiedene Phasen rhythmischer  Veränderungen,  die sich unterschiedlich auswirken. Es gibt Zeiten intensiverer Hormonausschüttungen, Zeiten, in denen wir geistig oder körperlich leistungsfähiger sind oder in denen man der Ruhe bedarf. Die Wärmebildung unterliegt diesen Schwankungen, die Haut hat Phasen unterschiedlicher Aktivität usw.


Beeinflußt werden diese Rhythmen z.T. durch bereits in der Erbsubstanz festgelegte genetische Bedingungen, andererseits durch tageszeitliche oder mond- und sonnenabhängige Bedingungen.


Klimatische Veränderungen spielen eine ebenso große Rolle wie die verschiedenen Lichtverhältnisse der Jahreszeiten.


Der Rhythmus von morgens bis abends


Der Tageslauf ist durch zwei Zyklen geprägt, in denen die drei Doshas sich während festgelegter Zeiträume ablösen. Die ayurvedischen Zyklen des Tages zeigen sich folgerndermaßen:


1. Zyklus



  • 6-10 Uhr - Kapha

  • 10 - 14 Uhr - Pitta

  • 14 - 18 Uhr - Vata


2. Zyklus



  • 18 - 22 Uhr - Kapha

  • 22 -  2   Uhr -  Pitta

  • 2  -  6   Uhr -  Vata


Ein wichtiger Grundsatz für gesundes Leben ist es, den Tagesablauf nach diesen Zyklen auszurichten. Es gibt auch hier eine einfache Empfehlung, den Lebensrhythmus an die Natur anzupassen: die Dinacarya Adhyaya. Auch hier handelt es sich nicht um strenge Regeln, sondern um Anregungen.


Aufstehen


Der Tag beginnt unter dem Einfluß des Kapha-Doshas, man fühlt sich meist noch etwas träge, ruhig und entspannt. Möchte man seine Gesundheit dauerhaft stärken, sollte man jedoch noch während der Vata-Phase, also morgens vor sechs Uhr, aufstehen. Vata macht beweglich und frisch, und man ist in der Lage, aktiv in den Tag einzusteigen. Diese vitale Stimmung hält über den ganzen Tag an. Wer bis weit in die Kapha-Phase im Bett bleibt, fühlt häufig eine bleierne Müdigkeit, die auch tagsüber häufig nicht weicht. Müde Glieder und Tränensäcke weichen oft erst am Nachmittag.


Toilette – Massage mit Öl – Kleidung und Schmuck


Morgens ein Glas Wasser warm und schluckweise getrunken unterstützt die Ausscheidung. Zahn- und Mundpflege wird im Ayurveda zu einem Ritual erhoben. Hierzu gehören die Pflege der Zähne mit Heilkräuterpulvern und das Abschaben der Zunge. Spülung der Augen und der Nase und Gurgeln mit ein wenig Öl unterstützen die morgendlichen Maßnahmen. Vor dem Duschen wird eine Ölmassage empfohlen, nur Kapha–Typen tut eine Reibemassage mit einem Pulver oder einem rauhen Handschuh wohler. Anschließend soll der Körper durch eine Dusche oder ein Bad gereinigt werden, allerdings nicht zu heiß, denn das schwächt die Kraft der Augen und Haare – kann also zu frühzeitigem Ergrauen oder Haarausfall führen und Sehstörungen bzw. Augenleiden hervorrufen. Lauwarmes Wasser hingegen stärkt alle Organe des Körpers.
Zur Kleidung aus natürlichen Materialien gehören auch Schmuck und Parfüm. Natürliche Essenzen und Duftstoffe fördern die Ausstrahlung und das Selbstbewußtsein.



Schmuck aus Edelmetall oder Edelsteinen unterstützt das Immunsystem, erhöht die Lebensqualität und bietet Schutz gegen die negativen Einflüsse von außen. Die Bekleidung darf in frohen, bunten Farben sein; das hierzulande dominierende Schwarz und Grau läßt auch das Gemüt „dunkeln” und signalisiert Distanz.
Körperübungen wie Yoga oder mäßige sportliche Betätigung gehören auch zum Ayurveda. Nur darf man sie nicht so weit forcieren, daß man nicht mehr ruhig durch Mund und Nase ein– und ausatmen kann. Ein strammer Spaziergang ist ideal, aber auch Radfahren oder leichte Gymnastik.


Frühstück – Mittagszeit – Nachmittag – Abend – Nacht


Kapha-Typen, die morgens lange brauchen, um wach zu werden, können mit etwas Obst oder Tee oder Saft starten. Vata- und Pitta-Menschen mit ihrer stärkeren Verbrennung können kräftiger frühstücken.
Von 10 bis 14 Uhr übernimmt Pitta die Führung, die produktivste Phase des Tages geht einher mit bester Leistung des Gedächtnisses, der Lernfähigkeit und Kreativität. Das Mittagessen als größte Mahlzeit des Tages ist hier angebracht, denn „Agni”, das Verdauungsfeuer, sowie der Stoffwechsel laufen nun auf Hochtouren.
Nach dem Mittagessen bleibt man am besten noch eine Weile sitzen oder noch besser, man geht kurz spazieren.
Am Nachmittag erreicht man die Vata-Phase, und durch sie bekommen Körper und Geist wieder neuen Schwung. Die Leistungsfähigkeit erhält noch einmal neuen Schwung. Die meisten Menschen fühlen sich jedoch am Nachmittag besonders müde: Das liegt daran, daß sie ein schwaches Verdauungsfeuer haben und ihnen das Mittagessen zu schaffen macht.
Der Abend beginnt um sechs Uhr wieder mit dem Regiment von Kapha, und es ist Zeit für ein kleines, leichtes Mahl, das möglichst kein schwerverdauliches tierisches Eiweiß enthalten sollte. Ein Spaziergang danach unterstützt Agni und beruhigt nach des Tages Anforderungen. Sich frühzeitig und in entspannter Stimmung zur Nachtruhe zu begeben fördert gesunden Schlaf und läßt am Morgen fröhlich aufstehen. Schlaf ist die wirkungsvollste Form der Gesundheits– und Schönheitspflege. Es findet die Regeneration des Körpers und der Haut statt und läßt den Menschen am folgenden Tag strahlend erwachen.


Jahreszeiten und Lebensphasen


Frühling – Mitte März bis Mitte Juni ist die Zeit des Kapha. Durch die allmähliche Erwärmung „schmilzt” gewissermaßen auch der Winterspeck und führt zur Anreicherung von Ama, Schlacken und Giftstoffen.
Entschlackungs- und Fastentage sollten jetzt auf dem Programm stehen, um fit in den Sommer zu gehen. In den Sommermonaten und im Frühherbst, also von Mitte Juni bis Mitte Oktober dominiert Pitta. Leichte, gut gewürzte Gerichte können das schwache „Agni“ anregen. Beim Sonnenbaden ist zu beachten, daß dies bis zehn Uhr morgens eine vitalisierende und kräftigende Wirkung hat, danach zieht es eher Energie ab und schwächt den Organismus. Spätherbst und Winter ist überwiegend die Zeit des Vata. Zur Abhärtung nimmt man bevorzugt Vata-regulierende Nahrung zu sich, denn nun braucht der Körper viel Energie, um sich „aufzuheizen“. Durch das sehr kräftige „Agni“ braucht man sich nicht um sein Gewicht zu sorgen, man kann mehr und fetter essen als im Sommer, ohne dabei zuzunehmen.


Lebensphasen


„Vata beherrscht das letzte Stadium des Lebens, den Tag, die Nacht und die Verdauung, Pitta das mittlere Stadium und Kapha das Anfangsstadium.” Kindheit, Erwachsenenzeit und Alter sind die drei Jahreszeiten des Lebens. Während der Übergangszeit von einem Dosha zum anderen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Erkrankungen, da der Organismus sich veränderten Bedingungen anpassen muß und dadurch die Widerstandsfähigkeit zeitweise beeinträchtigt wird. Der Ayurveda und sein philosophischer Hintergrund bietet uns ein einfaches aber wirksames Konzept einer guten Lebensführung, in die bewußt heilend eingegriffen werden kann, und das es jedem ermöglicht, selbst aktiv zu werden. Allerdings ist alles Wissen nur nützlich, wenn es angewendet wird und zur Handlung und Behandlung führt.


Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 77, Juli 1999 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht, Autor: Ute Bopp