In der Seele brennt ein Licht

Eine erleuchtende Reise durch die Religionen der Welt

Bäume wissen es längst: je mehr sie wachsen, desto mehr Licht bekommen sie.
Bäume sind offensichtlich
vernünftiger als wir, sie streben immer nach dem Licht.


Anke Maggauer-Kirsche (*1948), deutsche Lyrikerin.


Ohne Licht können wir nicht leben. Das gilt nicht nur für uns als biologische Wesen, sondern in allen Kulturen und Religionen ist das Licht von zentraler Bedeutung. Überall finden wir Sonnen-, Licht- und Sternengötter. Der große Weg des Menschen verläuft aus dem ursprünglichen geistigen Licht über die Dunkelheit wieder zurück zum Licht. Die alten Weisheitslehren setzen sogar Leben und Licht gleich.


Unzählige Sprichwörter und Lebensweisheiten nehmen Bezug zum Licht: Es geht uns ein Licht auf, wenn wir etwas erkennen. Wenn wir betrogen werden, dann führt uns jemand hinters Licht. Die Wahrheit wird ans Licht gebracht und der Hellseher sieht das, was für das normale Auge unsichtbar ist. Es gibt auch eine eigene Strömung in der Philosophie, die sogenannte Illuminationsphilosophie oder Philosophie des Lichts. Sie entstand im 12. Jh. in Persien und beschreibt den Weg der Erkenntnis nicht als rationalen, analytischen Prozess, sondern als intuitive Erkenntnis bzw. Erleuchtung. Auch viele „westliche“ Philosophen und auch Wissenschafter beschreiben intuitive Geistesblitze, ähnlich den mystischen Strömungen in den Religionen. Durch ein vergleichendes Studium der verschiedenen Religionen und Philosophien der Welt erkennt man drei Lichtaspekte im Menschen.


Das Bewusstsein generell ist Licht. Bewusstsein ist vielleicht das Wichtigste im Leben, denn was helfen Gesundheit, Glück, Liebe oder Reichtum, wenn wir uns ihrer nicht bewusst sind? Es ist wie ein Scheinwerfer, der die verschiedenen Dinge beleuchtet und daher in unser Herz oder Gehirn bringt.


Ähnlich, aber doch davon unterscheidbar, ist das Licht der Weisheit und der Erkenntnis. Unwissenheit ist Dunkelheit und Verwirrung. Aber „wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“ – eine Lösung oder zumindest eine Orientierung.
Schließlich wird auch die Seele des Menschen als Licht, Lichtfunken oder Feuer beschrieben – vielfach als Teil eines großen Lichts, zeitweise isoliert in einem Körper und zeitweise wieder vereint mit dem großen Ganzen. Besonders anschaulich erklären die Ägypter die Bedeutung des Lichts.


Licht in Ägypten


Die zentrale Idee in Ägypten war das Licht – und allem voran die Sonne. Die Pyramiden stellen einen Strahl des Lichts vom Himmel auf die Erde dar oder sie bilden als Stufenpyramiden eine Leiter hinauf zur Sonne. Das ganze Leben wird durch den Sonnenlauf bestimmt. Der Osten ist der Ort der Geburt, der Westen ist der Eintritt in die unsichtbare Welt. Beides sind Orte der Begegnung des Unsichtbaren mit dem Sichtbaren. Der Sonnenlauf bestimmt den Tag eines Menschen und zeigt symbolisch auch die Abfolge von Leben und Tod.


Nut verschluckt die SonneDer Körper der Göttin Nut steht für den gewölbten Himmel. Ihre Füße stehen im Osten, ihre langen Arme stützen sich im Westen auf. Wenn nun die Sonne ihren Lauf am Abend scheinbar beendet, wird sie von Nut verschlungen. 


Die Sonne tritt in eine andere Dimension ein, die außerhalb des Wahrnehmbaren für den Menschen liegt. Im Inneren des Körpers der Nut regeneriert und reinigt sich die Sonne, damit sie am Morgen im Osten aus dem Körper der Göttin wiedergeboren werden kann.
In gleicher Weise treten die verstorbenen Seelen in das Duat ein – gleich wie die Sonne in den Körper der Nut. Es ist keine unterirdische, sondern eine innere Welt. Die Seelen verlieren – gleich wie die Sonne – ihre äußere Form, ihre Raum-Zeit-Bedingung, bis sie wieder regeneriert und gereinigt in die physische Existenzebene eintreten. Duat befindet sich zwischen Nacht und Tag, zwischen Dunkelheit und Licht, zwischen dem Unsichtbaren hin zum Sichtbaren. Vom Mysterium zur Offenbarung. Daher heißt das ägyptische Totenbuch „Heraustreten der Seele an das Licht des Tages“. Am Ende des Duat leuchtet das absolute Licht. Es ist das blaue Ur-Licht, das für die Augen unsichtbar ist. In dieses Licht können nur jene treten, die alle Proben bestanden haben – wenn sich die Seele in ein reines Lichtwesen verwandelt hat. Dann wird sie zu einem himmlischen Leben wiedergeboren – das ist dann das Licht des eigentlichen Tages aus dem Totenbuch – weit höher und größer als unsere Sonne und unser Sonnentag (vgl. Nirvana im Hinduismus).


Bis dahin werden die Seelen geboren, sterben und werden wieder geboren, damit sie lernen, gerecht und wahr zu handeln. In der Dunkelheit findet das Keimen der Seele statt, das sie schließlich zum Licht bringt. Schwarz ist keine Farbe des Todes oder Trauer, sondern Verheißung der Erneuerung – wie der schwarze Nilschlamm, der Fruchtbarkeit und Leben bringt.


Die vier Sonnen


Dem Lauf der Sonne entsprechend unterschieden die Ägypter vier verschiedenen Stadien und Qualitäten des Lichts.
Als Erstes finden wir den Phönix auf dem Urhügel, der das Licht und das Leben in die Existenz ruft. Darauf folgt Kepher, der Skarabäus, das Licht des Sonnenaufgangs oder die wiedergeborene Sonne. Daran schließen Ra, die Sonne am Mittagshimmel und Atum an, die alte, untergehende Sonne.


Diese vier Urkräfte leiten die Geburt des Universums und der Seele. Damit wird ersichtlich, dass die Sonne bzw. das Licht nicht nur Schöpferkräfte trägt, sondern auch für die Reifung verantwortlich ist. In dem Maße, wie sich die Dinge dem Licht annähern, reifen und entwickeln sie sich. Selbst Gold erlangt seinen Wert als Fleisch der Götter. Es ist kondensiertes Sonnenlicht.


PhönixDas Licht der Weisheit


Das ägyptische Wort für Weisheit wird mit einem Stern beschrieben. Dieser Stern verleiht dem Wissenden Licht und Führung und versinnbildlicht, dass jedes Wissen himmlischen Ursprungs ist. Zu diesem „Weisheitsstern“ wird oft auch das Bild einer Tür hinzugefügt. Wissen wird damit ein Übergang, ein Hinaustreten ins Licht. Manchmal ergänzt der Ägypter die Weisheit auch mit dem Beiwort des „Anwesendseins“, oder „Zeugeseins“. Der Weise verfügt also auch über die persönliche Erfahrung, die die Wirksamkeit seines Wissens bezeugt und bestätigt – und damit leuchtend macht.


In Ägypten ist alles, was nützlich und wirkungsvoll ist, strahlend und leuchtend. Das Licht steht für den spirituellen Aspekt im Menschen. Er ist ein Wesen aus Licht. Dafür muss er aber das Herz öffnen, um das Licht wahrzunehmen und zu verstehen und selber leuchtend werden. Die Weisheit, die sich im Leben erprobt und bewiesen hat, wird zum inneren Licht. In den so genannten „Lebenshäusern“ konnten bestimmte Menschen bereits zu Lebzeiten einen Grad höheren Wissens über
sich selbst und die Natur erreichen. Man spricht auch von Einweihung in die Mysterien des Lebens. Dieser Zustand wurde als „Ach“ bezeichnet – als „Wesen des Lichtes“. Ein Achu besaß Macht – im inneren Sinne – er hat Macht über sich selbst erlangt. Überhaupt stellen die Ägypter Macht und Licht gleich – Licht verleiht im Abstrakten und Konkreten Leben. 


Eine Reise um die Welt


Ägypten


Ich bin Thot, der Meister der Gesetze,
welcher die Schriften deutet,
… der das Sonnenvolk ernährt.“

Der Gott Thot, Gott des Wissens und der „Zähler der Sterne“,
aus dem ägyptischen Totenbuch


Amerika


Steht nicht an meinem Grab und weint.
Ich bin nicht da. Nein, ich schlafe nicht.
Ich bin das diamantene Glitzern des Schnees.
Ich bin das sanfte Licht der Sterne in der Nacht.
Steht nicht an meinem Grab und weint.
Ich bin nicht da. Nein, ich schlafe nicht.
Lakota-Indianer


Die Menschen sind die Kinder von Inti (der Sonne; Vater)
und Mama Killa (dem Mond; Mutter)
Mythos der Inka


Die Menschen sterben nicht, sondern sie erwachen aus einem Traum, den sie gelebt haben
… und sie werden wieder Geister oder Götter …
Manche werden in die Sonne verwandelt, andere in den Mond.
Weisheit der Azteken


Der Nabelstein auf der Osterinsel trägt den Namen Te Pito Kura
– der Nabel des Lichts, Nabel der Sonne oder der Goldene Nabel.
Osterinsel


Judentum, Christentum, Islam


Und Gott sprach: Es werde Licht!
Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war.
Mose 1, 3-4, jüdisch, christlich

„Es ist Licht im Inneren eines Lichtmenschen,
und er erleuchtet die ganze Welt.
Wenn er nicht leuchtet, ist Finsternis."
Thomas Evangelium 24, apokryph

Jesus sprach: „Wenn sie zu euch sagen: ‚Woher kamt ihr?’,
sagt zu ihnen: ‚Wir kamen aus dem Licht,
wo das Licht aus sich selbst entstand
und sich begründete, und sich in ihrem Bild offenbarte.“
Thomas Evangelium 50, apokryph

Jesus spricht:
Ich bin das Licht der Welt.
Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandern,
sondern wird das Licht des Lebens haben.
Johannes 8,12, Christentum

Allah ist das Licht von Himmel und Erde.
Sein Licht ist gleich einer Nische mit einer Lampe darin.
Die Lampe ist von Glas umgeben, das so klar ist wie ein funkelnder Stern.
Sure 24,36, Islam

Das wahrhafte Licht ist der erhabene Gott,
und die Anwendung des Begriffs „Licht“ auf anderes ist
eine reine Metapher und hat keine wahre Bedeutung.
Die Nische der Lichter, al-Ghazali, Islam


Philosophie


Alle Bücher dieser Welt
Bringen dir kein Glück,
Doch sie weisen dich geheim
In dich selbst zurück.
Dort ist alles, was du brauchst,
Sonne, Stern und Mond,
Denn das Licht, wonach du frugst,
In dir selber wohnt.
Weisheit, die du lang gesucht
In den Bücherein,
Leuchtet jetzt aus jedem Blatt -
Denn nun ist sie dein.
Hermann Hesse, Bücher

Ich glaube, wenn der Tod unsere Augen schließt,
werden wir in einem Lichte stehen,
von welchem unser Sonnenlicht nur der Schatten ist.
Arthur Schopenhauer, handschriftlicher Nachlass


Asien


Nirvana – nir (sanskrit: aus, außerhalb), vana (sanskrit: Wald)
– das geistige Licht außerhalb des dunklen Waldes der materiellen Welt.
Hinduismus

Krishna spricht: Alles Sein, das Reich der Güte
und des Lichts, der Leidenschaft und Finsternis,
es stammt aus Mir, es ist in Mir, doch Ich bin darum nicht in ihm.
Bhagavadgita 7,12, Hinduismus

Die Seele des Menschen ist eine ewige Flamme,
die von verbrauchten Lampen auf eine andere, neue übergeht.
Zoroastrismus

Das goldene Licht des Geistes sendet seine glorreichen Strahlen
durch die dichten, dunklen Wolken des Materiellen.
Bald hier, bald da wird es von diesen Strahlen erleuchtet,
wie Funken der Sonne auf die Erde fallen
durch das Blätterdach im Waldesdickicht.
Stimme der Stille, Tibet

Vereine Dich mit dem Stern, dessen Strahlung Du bist.
Stimme der Stille, Tibet

Schwer ist es, aus der Tierheit Dunkel den Weg
zum Licht des Menschentums zu finden.
Wandle so als Mensch auf dieser Erde,
dass die Menschlichkeit auch sichtbar werde.
Suhrillekha 59, Buddhismus

Wenn Licht in der Seele ist, ist Schönheit im Menschen.
Aus China


Nach dieser Rundreise durch die spirituelle Welt scheint es offensichtlich: Wir sind Licht. Und selbst wenn wir es physikalisch betrachten, hat dieser Gedanke einen gewissen Reiz. Mal sind wir ein materielles Teilchen, ein anderes Mal eine Welle – je nachdem, von wo wir es betrachten – aber wir sind immer Licht.

Literaturhinweis:
• Fernand Schwarz: Das unsichtbare Ägypten – Die Kraft der Symbole, Verlag Filosofica, Graz 2010
• Graham Hancock und Santha Faiia: Spiegel des Himmels – Das Vermächtnis der Götter, Lichtenberg Verlag, München, 1998


Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 140, April 2015 des Magazins Abenteuer Philosophie veröffentlicht, Autor: Barbara Fripertinger